Es geht nicht um Geld, sondern um Gerechtigkeit!
Demonstrationen und Proteste am 27. und 28. April
Esso-Häuser verteidigen!
Solidarität mit der sozialen Revolte und antirassistischen Protesten in Griechenland!
Wir rufen zusammen mit anderen Gruppen zu einem Protestwochenende in Hamburg auf. Mit zwei Demonstrationen am Samstag den 27. und Sonntag den 28 . April wollen wir unsere Solidarität mit den sozialen Bewegungen in Griechenland auf die Straße tragen und den Kampf der Bewohner_innen der Esso-Häuser auf St. Pauli unterstützen.
Der Abriss der Esso-Häuser und die Abschaffung des Sozialen in Griechenland folgen derselben kapitalistischen Logik. Die Interessen und Bedürfnisse der Menschen treten hinter die Interessen der Märkte zurück. Übrig bleiben Investorenarchitekturen und privatwirtschaftliche Interessen, die zum allgemeinen öffentlichen Interesse erhoben werden. Der Standort ersetzt in diesem Prozess das Soziale und die kapitalistische Ökonomie wird zur alleingültigen Instanz der gesellschaftlichen Entwicklung definiert. Gleichberechtigung und Teilhabe werden von der Grundlage des gemeinsamen Zusammenlebens zum Ballast desselben erklärt, zum Luxus, den sich die Gemeinschaft nicht leisten könne.
Fight local, act global
Doch wie sich kapitalistische Interessen in der globalisierten Welt überschneiden und vernetzen, können wir auch unseren Widerstand vernetzen und neue Perspektiven und gesellschaftliche Antworten entwickeln. Die Demonstrationen am 27. und 28. April haben einen unterschiedlichen Schwerpunkt. Widerstand wird unberechenbar, wenn er vielfältig ist.
Wir finden richtig, lokale Kämpfe und Auseinandersetzungen im europäischen und globalen Maßstab aufeinander zu beziehen und zu vernetzen. Diese Praxis der politischen Auseinandersetzung und Vernetzung fand beispielseise bei den Solidaritätsdemonstrationen nach dem Mord an Alexandros Grigoropoulos, beim internationalen Recht auf Stadt Kongress, dem Platz der unbilligen Lösungen des Schwabingrad Balletts oder dem Schanzenfest auf Griechisch einen Ausdruck.
»Es geht gar nicht um Geld, sondern um Gerechtigkeit«. So beschreibt Manolis Glezos, griechischer Antifaschist und NS-Widerstandskämpfer, die Bedeutung von Entschädigungszahlungen vor dem Hintergrund der deutschen Weigerung, politische Verantwortung zu übernehmen. Doch die Bedeutung dieser Worte von Manolis Glezos reicht weiter; folgerichtig beteiligt er sich auch an zahlreichen Demonstrationen gegen die europäische Krisenpolitik und Spardiktate.
Derweil wird in Deutschland lieber über faule Griechen und die großen Leistungen des deutschen Staates bei der Euro-Rettung diskutiert. Letztere gibt es selbstversändlich nicht umsonst – ein zerstörerisches und gewalttätiges Sparpaket wird als Mitwirkungspflicht erwartet. Es ist ein neoliberales Modellprojekt mit Bedeutung für die gesamte Eurozone. Wie die Menschen in Griechenland und der Europäischen Union leben und überleben können, spielt keine Rolle.
Ein Modellprojekt europäischer Deregulierung
Die beeindruckenden Bilder des Widerstandes und der Selbstorganisierung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass derzeit eine beispiellose Welle der Repression die Menschen in Griechenland überrollt. Diese Repression hat eine sichtbare ökonomische Dimension und eine physische, unmittelbar gewalttätige Seite im Rahmen der polizeilichen Durchsetzung kapitalistischer Interessen. Räumungen besetzter Projekte sind ebenso Ausdruck dieser Situation wie Übergriffe auf Demonstrationen und lange Haftstrafen gegen Aktivist_innen aus den unterschiedlichen Bewegungen.
Dies wird begleitet von rassistischen Ressentiments und zunehmenden Angriffen auf Flüchtlinge und Migrant_innen. Gesellschaftliche Ausgrenzung und Unterordnung sind die Prinzipien einer kapitalistischen Neuordnung. Im Namen von Eurozone, Bankenrettung oder Rettungsschirm wird eine postkoloniale Standortpolitik betrieben, in der die Märkte alles sind und die Menschen sich zu Sklaventreibern ihrer selbst erziehen sollen. Die alte Struktur von Peripherie und Zentrum verschwimmt. Nicht nur im Mittelmeerraum, sondern in der gesamten EU ist der Standortwettbewerb das Primat der Politik. Europa soll fit gemacht werden für den Kampf um die Märkte im globalen Maßstab.
Dies drückt sich lokal in einer Stadtentwicklung aus, im Zuge derer ganze Regionen als Dienstleistungsunternehmen begriffen werden, in denen jede und jeder im Rahmen der Mitwirkungspflichten seinen Dienst verrichten soll. Private wirtschaftliche Interessen werden dabei als gemeinsame öffentliche Anliegen definiert und eine Mitte der Gesellschaft geschaffen, aus der immer mehr herausfallen. Insgesamt sind die Lebensverhältnisse einer Deregulierung und Privatisierung unterworfen; entsprechend regen sich nicht nur am Fuße der Akropolis, sondern auch in vielen anderen Städten Europas Widerstände.
Gentrifizierung und kapitalistische Stadtentwicklung in Hamburg
Die Auseinandersetzungen um Gentrifizierung auf St. Pauli haben sich zuletzt auf besonders eigentümliche Weise in den Medien niedergeschlagen. Eine Ausladung von Immobilien- und Theaterbesitzer Littmann von einer Veranstaltung in der Roten Flora aufgrund seiner Rolle im Aufwertungsprozess auf St. Pauli wurde von Boulevardmedien genüßlichst aufgegriffen, um eine vermeintliche kulturelle Engstirnigkeit der Flora darzustellen. Doch hinter den Schlagzeilen verbirgt sich mehr als ein bloßer Zwist zwischen zwei Bühnen.
Die Ereignisse sind vor allem ein Ausdruck davon, dass auch die Kämpfe auf St. Pauli weit komplexer und heterogener sind, als es in Bildern eines gemeinsamen Widerstandes der Bewohner_innen gegen auswärtige Investor_innen auftaucht. Der Konflikt von widerständigen Anwohner_innen auf St. Pauli, die sich als gallisches Dorf dem bundesweiten Treiben der Bayrischen Hausbau entgegensetzen, besitzt zweifelsohne eine Zuspitzung wie aus dem Bilderbuchklischee. Doch Investoren sind im Kapitalismus austauschbar und nicht das alleinige Problem.
Im Fall der Unverträglichkeit der Roten Flora und auch bei den Esso-Häusern geht es viel stärker um die Frage, wie städtische Politik gestaltet und ausgerichtet wird, wer von Gentrifizierung und kapitalistischer Stadttplanung profitiert, und wer dabei über den runden Tisch gezogen und ausgegrenzt wird. Der Stadtteil wird von aufstrebenden Millieus als Grundlage der eigenen privatwirtschaftlichen Interessen gesehen. Diese werden gleichzeitig zum Allgemeinwohl erhoben und z.B. durch Business Improvement District, Seilbahn und Tanzende Türme vorangetrieben. Das Image wird gepflegt und der Stadtteil als Marke und Standort ausgebaut. Dieser Prozess geht einher mit vielfältigen Formen von Verdrängung und Vertreibung von ärmeren und marginalisierten Bevölkerungsschichten.
Die Konflikte um Spielbudenplatz, Esso-Häuser und Rote Flora sind dabei Ausdruck desselben Problems. Was hat es zu sagen, wenn einige Großveranstaltungen wichtiger sind als das Aufenthaltsrecht von Punks oder Wohnungslosen auf St. Pauli? Was sagt es über die Stadt aus, wenn Geld und der zu erwartende Gewinn die entscheidende Grundlage für die Räumung und Vertreibung von über hundert Mieter_innen sind? Was sagt es über die Gesellschaft, wenn städtische Konflikte wie die Auseinandersetzung um die Unverträglichkeit der Roten Flora privatisiert werden, um sich selbst und die Politik außerhalb der Steinwurfweite zu bringen, um damit weitere Vertreibungs- und Aufwertungspolitik möglich zu machen?
Wir lehnen einen kapitalismusorientierten Blickwinkel ab und verweigern uns neoliberalen Lösungsstratiegen, runden Tischen oder Expert_innenkommissionen, die uns diesen schmackhaft machen und mit all den gewaltsamen Folgen und Kollateralschäden dieser Entwicklung versöhnen wollen. Die Fragen, die im Zusammenhang der Bewältigung der sogenannten Finanzkrise oder im Rahmen stadtentwicklungspolitischer Konflikte gestellt werden, sind die falschen und so scheinen auch die Antworten von Politik von Investoren und etablierten Medien seltsam gleich und alternativlos.
Im Kapitalismus gibt es nichts umsonst
Wenn wir eines aus 24 Jahren Roter Flora und der Geschichte linker Kämpfe gelernt haben, dann dass wir im Kapitalismus nichts geschenkt bekommen, uns nur selbst helfen können, indem wir uns mit anderen organisieren, um für gesellschaftliche Teilhabe und gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Viele Dinge, die uns heute als Selbstverständlichkeit und Ende der Fahnenstange dargestellt werden, würde es heute nicht geben, wenn weiter um die Frage der Finanzierbarkeit diskutiert worden wäre, statt mit den Mitteln von Streiks, Barrikaden und direkten Aktionen die vorherrschende Kosten-Nutzen-Rechnung auf den Kopf zu stellen und damit einen völlig neue politische Ausgangsfrage herzustellen. Auch die Rote Flora würde es vermutlich längst nicht mehr geben ohne die Bereitschaft von vielen Menschen, die Stadt im Falle einer Räumung durch Massenmilitanz und mit unterschiedlichsten Aktionen in Atem zu halten.
Auch im Fall der europäischen Finanzpolitik und der Diskussion um Räumung und Abriss der Esso-Häuser auf St. Pauli ist es notwendig, aus der herrschenden Kosten-Nutzen Rechnung eine politische Frage zu machen; der Frage um die Finanzierbarkeit die der Gerechtigkeit entgegenzustellen und die Lebensverhältnisse der Menschen wichtiger zu nehmen als die der Standorte und Mitnahmeeffekte.
Uns ist völlig egal, was es kostet, damit Wohnungslose nicht vom Spielbudenplatz vertreiben werden, damit alle, die wollen, eine günstige Wohnung nutzen können, oder dass Menschen in Griechenland und anderen Ländern eine Lebensgrundlage haben. Es ist nicht mehr oder weniger als eine Frage ums Ganze, die uns bewegt. Diktieren die kapitalistischen Bedingungen unser Leben oder gestalten wir die Stadt und die Gesellschaft so, dass allen ein gleichberechtigtes Leben möglich ist? Die Politik kann die Rechenschieber einstecken, denn darunter sind wir nicht bereit, zu gehen.
Wir setzen der Kakophonie nach Sparmaßnahmen und Finanzierbarkeiten einen politischen Widerstand entgegen. Wir kämpfen nicht nur für die Unverträglichkeit der Flora, den Erhalt der Esso-Häuser oder solidarisch an der Seite von antikapitalistischen und antirassistischen Protestbewegungen in Griechenland und anderen Ländern, wir kämpfen um den Begriff von Gesellschaft selbst.
Es geht ums Ganze
Wir leben in einer Zeit zunehmender Verwerfungen, Krisen und gewaltiger Umbrüche. Die Antworten, die wir heute finden, der Widerstand, den wir heute entwickeln, haben entscheidenden Anteil daran, welche Zukunftsperspektiven uns erwarten. Unsere Antwort ist, dass innerhalb des Bestehenden dabei nichts zu machen ist.
Nicht nur Proteste müssen sich radikalisieren, auch unser Verständnis von der Welt und unsere Beziehungen untereinander. Es gibt keine Befreiung von dort, wo wir keine Wege entwickeln. Solidarität, ein selbstkritischer Blick auf die Welt, der eigene Herrschaftsanteile und Privilegien nicht ausblendet, ein Bewusstsein für die Verwobenheit in das unfassende System aus Macht und Gewalt, welches uns ebenso umgibt wie durchdringt; dass wir immer auch Teil der Verhältnisse sind und diese nicht nur bekämpfen, sondern auch reproduzieren, ist notwendig, um die Mechanik des Kapitalismus zu sabotieren und langfristig stillzulegen.
Für globale Bewegungsfreiheit und Umverteilung – alles für alle! Das System der Krise auf allen Ebenen bekämpfen – Kapitalismus abschaffen!
Flora bleibt unverträglich
http://florableibt.blogsport.de
Samstag 27.4. 15:00 Uhr Rote Flora
Überregionale Demonstration
Solidarität mit den sozialen Protesten in Griechenland – Euro-Zone vergesellschaften!
Mehr Infos: http://revoltedemohh.noblogs.org
Sonntag 28.4. 15:30 Uhr Südkurvenvorplatz am Millerntor
Stadtteil- & Solidaritätsdemo
Esso-Häuser verteidigen! Räumungen von besetzten Projekten, sozialen Zentren und Mieter_innen überall verhindern!
Anschließend Abschlusskundgebung auf dem Spielbudenplatz mit Megafonaktion des Schwabingrad Ballets und Rahmenprogramm.
Mehr Infos: http://www.initiative-esso-haeuser.de
Und für alle die bereits am Freitag den 26.4. in der Stadt sind:
Kundgebung und Aktionen gegen die IGS-Eröffnung und internationale Bauausstellung
Ab 15 Uhr am Inselpark in Wilhelmsburg
Mehr Infos: http://ibanigsda.org
Den Aufruf als PDF gibt es hier.